Vor 105 Jahren, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, hielt die Jagd nach dem „Bauernschreck“ die Bevölkerung des Lavanttals wie auch der benachbarten Gebiete der Steiermark in Atem.
Von Mitte Juni 1913 bis Anfang März 1914 dezimierte ein zunächst unbekanntes Raubtier auf den Bergen zwischen der Stubalpe und der Koralpe das Almvieh der Bauern und das Wild. Die enormen Schäden alarmierten nicht nur die Bauern und die Jägerschaft, sondern auch die Behörden, die Zeitungsredaktionen und die Öffentlichkeit. Überall wurde darüber spekuliert, welchen Tieren derartige Blutbäder zuzutrauen wären. Die Rede war von Wölfen, von Luchsen oder einem Bären, und bald kamen auch entflohene oder absichtlich freigelassene Tiere einer „Menagerie“ in Betracht: Hyänen, Leoparden, Pumas, Panther und Löwen.
Eine der größten Zeitungssensationen Österreichs und darüber hinaus
Zeitungen verbreiteten die Sensationsgeschichten von den „Untaten“ der mysteriösen Bestie und der erfolglosen Jagd nach ihr in ganz Österreich-Ungarn und weit darüber hinaus. Bis Mitte August sollen dem „Bauernschreck“ bereits 23 Rinder und 217 Schafe zum Opfer gefallen sein. Bis Anfang September belief sich die Schreckensbilanz auf 94 Rinder und 380 Schafe. Angesichts der enormen Schäden zweifelte nun kaum noch jemand daran, dass hier gleich mehrere gefährliche Raubtiere ihr Unwesen trieben. Bauern berichteten über angebliche Sichtungen von Löwen, Hyänen und Wölfen, erfahrene Jäger hatten in der Ferne etwas Großes, Katzenartiges gesehen, und eine Gruppe von Ausflugsgästen wurde mitten in der Nacht von donnerndem, furchterregendem Gebrüll aus dem Schlaf gerissen.
Die Behörden und die Jäger unternahmen jedenfalls ihr Bestes, um der wahren Ursache auf die Spur zu kommen. Man setzte Krisenstäbe ein, gründete Sonderkommissionen, ordnete in den betroffenen Gebieten „sicherheitspolizeiliche Maßnahmen“ an und setzte für die Erlegung des „Bauernschrecks“ eine Prämie in beträchtliche Höhe aus. Aufrufen an die Jägerschaft, sich an der Jagd zu beteiligen, folgten nicht nur Berufs- und Freizeitjäger aus allen Teilen Österreichs, sondern auch Abenteurer, Geschäftemacher und angebliche Experten.
Weil die Bauern ihr Vieh angesichts der Gefahr früher als sonst von den Almen holten und die Jäger wochen- und monatelang erfolglos blieben, bestand die große Sorge, dass hungrige Raubtiere spätestens bei Einbruch des Winters in die Niederungen gelangen und dort Menschen gefährlich werden könnten.
Kaum jemals zuvor und nur selten danach hat ein Thema abseits der großen Kriegsschauplätze und außerhalb der Zentren der politischen und der wirtschaftlichen Macht über einen so langen Zeitraum hinweg die Gemüter der Zeitungsleser ähnlich intensiv bewegt wie der „Bauernschreck“. Und trotzdem ging das Wissen darüber im Laufe der Zeit fast vollständig verloren.
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