Vor über 100 Jahren, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, versetzte ein geheimnisvolles Untier die Bevölkerung Kärntens und der Steiermark in Angst und Schrecken. Der „Bauernschreck“, wie man die mysteriöse Kreatur bald nannte, hielt monatelang Jäger, Gendarmen und Millionen von Zeitungslesern in aller Welt in Atem, ehe er sich als ganz normaler Wolf entpuppte.
Wölfe hat es hierzulande eigentlich schon immer gegeben. Aber ab dem Mittelalter wurden sie zunehmend verfolgt und gejagt. Treibjagden kosteten viele das Leben und zwangen die überlebenden, ihre angestammten Reviere zu verlassen und sich anderswo nach geeigneterem Lebensraum umzusehen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ordnete das österreichische Kaiserhaus sogar ihre endgültige Ausrottung an, was dazu führte, dass es Wölfe spätestens ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hierzulande nicht mehr gab.
Aber Wölfe sind hartnäckig und kehren mitunter auch nach langer Zeit wieder in die von ihren Vorfahren aufgegeben Gebiete zurück. Dort, wo man längst nicht mehr mit ihnen rechnet, haben sie dann mit den Nutztieren der Menschen leichtes Spiel – vor allem mit den Schafen und Rindern auf den Almen. So geschehen 1913, als ein zunächst unbestimmbares Raubtier in der Steiermark und Kärnten zu jagen begann.
Zwischen Stubalpe und Koralpe
Von Juni 1913 bis März 1914 dezimierte das geheimnisvolle „Untier“ im Gebiet zwischen der Stubalpe und der Koralpe das Almvieh der Bauern und das Wild. Schon nach wenigen Monaten belief sich die Schreckensbilanz auf 94 Rinder und 217 Schafe. Die enormen Schäden alarmierten Bauern, Jäger und Behörden und beunruhigten zunehmend auch die Bevölkerung. Überall rätselte man, welchen Tieren derartiges zuzutrauen wäre. Die Rede war nicht nur von Wölfen, Luchsen und Bären, sondern auch von entflohenen oder gar absichtlich freigelassenen Tieren einer Wandermenagerie: Löwen, Pumas, Panther und Leoparden.
In- und ausländische Zeitungen verbreiteten immer wieder Schreckensmeldungen über den „Bauernschreck“, und sogar Kaiser Franz Joseph ließ sich über die neuen Entwicklungen in dieser Angelegenheit auf dem Laufenden halten. Man setzte Krisenstäbe ein, schickte Jäger, Soldaten und Gendarmen auf die Almen und stellte für die Klärung des Falles eine hohe Belohnung in Aussicht. Aber nichts half. Je länger die Jagd erfolglos blieb, desto größer wurde die Sorge, dass das geheimnisvolle Untier auch in die Täler gelangen und dort den Menschen gefährlich werden könnte. Vor allem sorgte man sich um die Kinder.
Die Lösung des Rätsels
Das Rätsel konnte erst Monate später gelöst werden, als der Lavanttaler Berufsjäger Paul Steinbauer am 4. März 1914 auf der Kärntner Seite der Koralpe im Schnee auf die frische Fährte eines Wolfes stieß. Steinbauer folgte den Spuren, holte den Wolf schließlich ein und gab einen gezielten Schuss ab, der das Tier zwar schwer verletzte, aber seine nochmalige Flucht nicht verhindern konnte. Erst am Tag darauf gelang es dem Frantschacher Fabrikdirektor Max Diamant, den „Bauernschreck“ zur Strecke zu bringen. Der etwa sechs Jahre alte Wolfsrüde wurde in Graz obduziert, ausgestopft und präpariert. Später kam er an das Kärntner Landesmuseum und ist seit 2014 als Leihgabe im „Museum im Lavanthaus“ in Wolfsberg zu sehen.
Das Buch zum Thema: “Der Bauernschreck – Die wahre Geschichte einer Zeitungssensation”
Mag. Werner M. Thelian hat die Geschichte der monatelangen Jagd nach dem geheimnisvollen “Bauernschreck” sorgfältig recherchiert und als Buch vorgelegt. Er beschreibt darin zugleich ein wichtiges, wenn auch lange Zeit fast vergessenes Kapitel der Pressegeschichte. Er zeigt, wie die Meldungen über die Vorkommnisse in der Provinz über Nachrichtenagenturen und Redaktionen in Wien, Graz, Klagenfurt, Marburg und Leoben bis nach Triest, Prag, Budweis, Budapest und Czernowitz gelangten und dort ebenso interessiert aufgenommen wurden wie in Berlin, Paris, London und St. Petersburg.
Die “Bauernschreck-Affäre” wurde, je länger sie dauerte und je verworrener sie erschien, zu einem umso größeren Medienereignis. Spezial- und Sonderberichterstatter wurden ausgeschickt, Leserbriefschreiber äußerten gewagte Vermutungen und die in hohen Auflagen gedruckten “Bauernschreck”-Ansichtskarten erfreuten sich großer Beliebtheit.
Vieles von dem, was damals über die Telegrafen und die Telefonleitungen die Redaktionen erreichte, war aber auch durchaus geeignet, schon längst in Vergessenheit Geratenes wieder heraufzubeschwören. Erfahrene Journalisten gingen den unterschiedlichsten Aspekten der Geschichte nach und recherchierten in Bibliotheken und verstaubten Zeitungsarchiven, um ihre staunenden Leserinnen und Leser mit haarsträubenden Details über Ungeheuer, Werwölfe und andere Ausgeburten der Hölle und des Aberglaubens zu versorgen.
Die ebenso wahre wie seltsame Geschichte von der monatelangen und zunehmend verzweifelten Jagd nach dem “Bauernschreck”, die sich in einigen der schönsten Regionen Österreichs zugetragen hat, ist zugleich auch eine Geschichte von Helden, Beinahe-Helden und Trittbrettfahrern. Sie erzählt nicht nur von einer der größten und aufwendigsten Raubtierjagden, die man in Europa jemals gesehen hat, sondern auch von namhaften Experten, die sich unter dem Eindruck der Ereignisse zu folgenschweren Fehlurteilen hinreißen ließen.
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